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Richtungswechsel am Himmel

Wenige Branchen wurden von Corona so hart getroffen wie die Luftfahrt. Nun gilt es Ideen zu entwickeln, um nach der Krise durchzustarten. Digitalisierung und Nachhaltigkeit spielen eine wichtige Rolle.

Fast allein auf weiter Flur: Die Coronakrise hat die Luftfahrt so hart getroffen wie kaum eine andere Branche. Das zeigt sich auch an den stark zurückgegangenen Starts und Landungen, wie hier auf dem internationalen Flughafen El Prat in Barcelona, Spanien.Kirill Rudenko/Getty Images

Auf­wärts, immer­zu auf­wärts: Lange Zeit kann­ten die Geschäf­te von Sata­ir, einem der welt­größ­ten Händ­ler von Flug­zeug­tei­len, nur eine Rich­tung. Wachs­tum war ange­sagt, nichts als Wachs­tum, wie fast in der gesam­ten Luft­fahrt­bran­che. „Unse­re größ­te Her­aus­for­de­rung in den ver­gan­ge­nen Jah­ren war die Ska­lier­bar­keit unse­res welt­wei­ten Geschäfts“, sagt Sata­ir-CEO Bart Rei­j­nen. „Und das natür­lich nach oben.“ Seit dem Früh­jahr 2020 ist diese Anpas­sungs­fä­hig­keit aber­mals gefragt. Sie ist sogar noch wich­ti­ger gewor­den. Die­ses Mal geht es aller­dings in die ande­re Rich­tung – zumin­dest vor­über­ge­hend.

Die Coro­na­kri­se hat die Luft­fahrt so hart getrof­fen wie nur weni­ge ande­re Bran­chen: Anfang April zähl­te die euro­päi­sche Flug­si­che­rung Euro­con­trol durch­schnitt­lich nur noch 3.200 Flug­be­we­gun­gen pro Tag – ein Rück­gang um fast 90 Pro­zent zum Vor­jahr. Air­lines und Flug­hä­fen lit­ten, genau­so wie Trieb­werks­her­stel­ler und Flug­zeug­bau­er. Sie muss­ten sich inner­halb weni­ger Tage anpas­sen. Sie muss­ten sich aber auch fra­gen: Wie kön­nen wir uns fit machen für die Zeit, wenn das Wachs­tum wie­der los­geht?

Startbahn als Flugzeugparkplatz

„Für die Oster­sai­son hat­ten wir uns auf täg­lich knapp 250.000 Pas­sa­gie­re vor­be­rei­tet“, sagt Pierre Domi­ni­que Prümm, Vor­stands­mit­glied der Fra­port AG. „Inner­halb sehr kur­zer Zeit waren es dann nur noch 5.000 bis 7.000 Pas­sa­gie­re.“ Prümm muss­te weite Teile der Ter­mi­nals schlie­ßen, eine Start­bahn wurde zu einem Flug­zeug­park­platz. Es galt, Kurz­ar­beit zu orga­ni­sie­ren und Liqui­di­tät zu beschaf­fen. Statt vol­ler Flüge stan­den Spuck­schutz­wän­de, Abstands­mar­kie­run­gen und Des­in­fek­ti­ons­spen­der auf der Tages­ord­nung.

Zur Sicherheit der Rolls-Royce-Mitarbeiter werden für bestimmte gemeinsame Montageschritte mobile Plexiglas-Trennwände eingesetzt, wie hier bei der Kerntriebwerksmontage eines „Trent XWB“-Triebwerks am Rolls-Royce-Standort in Derby, Großbritannien.Rolls-Royce

Auch beim Trieb­werks­her­stel­ler Rolls-Royce war Hygie­ne plötz­lich das alles bestim­men­de Thema. „So wich­tig Pro­duk­ti­vi­tät auch ist, Arbeits­si­cher­heit hat immer obers­te Prio­ri­tät“, sagt COO Sebas­ti­an Resch. Eine Woche lang blie­ben daher die Fabri­ken in Groß­bri­tan­ni­en geschlos­sen, um gemein­sam mit Arbeit­neh­mer­ver­tre­tern Hygie­ne- und Soci­al-Distan­cing-Kon­zep­te zu ent­wi­ckeln und zu imple­men­tie­ren. Unter ande­rem haben die ein­zel­nen Schich­ten seit­dem kei­nen Kon­takt mehr unter­ein­an­der. Viel Zeit wurde zudem inves­tiert, um den Mit­ar­bei­tern die Ver­än­de­run­gen zu ver­deut­li­chen und damit zu einem höhe­ren Sicher­heits­ge­fühl bei­zu­tra­gen. „Das hat einen unglaub­li­chen Unter­schied gemacht“, sagt Resch. Und: Wer nicht direkt vor Ort an den Trieb­wer­ken arbei­ten muss­te, wurde ins Home­of­fice geschickt.

Am Fir­men­sitz der Air­bus-Toch­ter Sata­ir in Kopen­ha­gen arbei­te­ten wäh­rend des Lock­downs im März sogar 95 Pro­zent der Beleg­schaft von zu Hause aus. Ent­schei­dend sei gewe­sen, den Mit­ar­bei­tern umge­hend die dafür nöti­ge Infra­struk­tur bereit­zu­stel­len, sagt Rei­j­nen. „Die Auf­trä­ge der Kun­den vom hei­mi­schen Wohn- oder Schlaf­zim­mer aus zu betreu­en, ist schließ­lich allein schon eine ziem­li­che Her­aus­for­de­rung.“

Für Rei­j­nen selbst war die Her­aus­for­de­rung eine ande­re: Mit einem Dut­zend Stand­or­ten welt­weit sah sich Sata­ir mit eben­so vie­len natio­na­len Ver­ord­nun­gen kon­fron­tiert. „Mein ers­ter Impuls war, den Leu­ten vor Ort zu sagen, was sie zu tun hät­ten – doch das war keine gute Idee“, erin­nert er sich. Die Mit­ar­bei­ter wur­den viel­mehr ange­wie­sen, auf ihre Stand­ort­lei­ter zu hören, die die loka­len Vor­ga­ben umsetz­ten. „Eine wich­ti­ge Lehre für mich war, dass es in solch einer Situa­ti­on kei­nen Sinn ergibt, aus der Zen­tra­le her­aus zu len­ken“, sagt Rei­j­nen.

Auf einen Blick

Satair

… ist einer der weltweit größten Händler für Ersatzteile von Flugzeugen und Hubschraubern. Im Katalog des Unternehmens, einer Tochter des Flugzeugbauers Airbus mit Sitz in Kopenhagen, finden sich mehr als eine Million unterschiedliche Teile. Der weltweite Umsatz von Satair betrug 2019 etwa zwei Milliarden Dollar.

Eine Rakete mit unklarem Kurs

Der Sata­ir-CEO, zuvor in der Raum­fahrt­bran­che tätig, ver­gleicht die Maß­nah­men gegen die Pan­de­mie gerne mit einer drei­stu­fi­gen Rake­te: In der ers­ten Stufe ging es darum, Sicher­heit und Gesund­heit der Mit­ar­bei­ter sicher­zu­stel­len. Als Zwei­tes muss­te das Geschäft am Lau­fen gehal­ten wer­den – ohne dass die Kun­den dar­un­ter lei­den, wenn ihre Auf­trä­ge aus dem hei­mi­schen Schlaf­zim­mer bear­bei­tet wer­den. Nun, in der drit­ten Stufe, laut Rei­j­nen der „schwers­ten und wahr­schein­lich längs­ten“, domi­nie­ren wirt­schaft­li­che Aspek­te: Liqui­di­tät, Kos­ten, Kapa­zi­tä­ten.

Das Pro­blem: Der Kurs die­ser Rake­ten­stu­fe ist völ­lig unklar. Auf dem Höhe­punkt der Coro­na­kri­se pro­gnos­ti­zier­te die Inter­na­tio­na­le Luft­ver­kehrs-Ver­ei­ni­gung (IATA), dass das welt­wei­te Pas­sa­gier­auf­kom­men 2020 im Ver­gleich zum Vor­jahr um 38 Pro­zent zurück­ge­hen werde. Knapp vier Wochen spä­ter hät­ten die Schät­zun­gen der IATA bereits bei einem Minus von 48 Pro­zent gele­gen, sagt Rolls-Royce-Mana­ger Resch. „Das ist alles extrem dyna­misch – und wir reden hier nur von 2020.“

Wichtig ist, dass sich jeder Spieler in der Branche nun ein Stück weit neu erfindet.

Pierre Dominique PrümmPierre Dominique Prümm
Vorstand Aviation und Infrastruktur, Fraport AG

Was die Vor­her­sa­ge so schwer macht, ist ein, wie Pierre Domi­ni­que Prümm es nennt, kom­bi­nier­ter Ange­bots- und Nach­fra­ge­schock: „Wir wer­den wohl mit weni­ger Air­lines aus der Krise her­aus­kom­men, die oft­mals hoch ver­schul­det sind und einen grö­ße­ren Staats­ein­fluss haben“, sagt das Fra­port-Vor­stands­mit­glied. Auf der ande­ren Seite dürf­ten viele Urlau­ber auch weni­ger Geld in der Tasche haben. Unter­neh­men müss­ten auf­grund der wirt­schaft­li­chen Situa­ti­on zudem bei Dienst­rei­sen spa­ren – oder hät­ten gelernt, dass Video­kon­fe­ren­zen eben­so gut funk­tio­nier­ten.

Neue Denkmuster statt alter Rucksäcke

War es das also mit dem Wachs­tum? Nicht zwangs­läu­fig. „Wich­tig ist, dass sich jeder Spie­ler in der Bran­che nun ein Stück weit neu erfin­det“, sagt Prümm. Wer das am schnells­ten und kon­se­quen­tes­ten mache, werde gestärkt aus der Krise her­vor­ge­hen. „Wer jedoch in alten Denk­mus­tern ver­harrt und glaubt, das Wachs­tum komme irgend­wann schon zurück, wird viel zu lange einen viel zu schwe­ren Ruck­sack mit sich her­um­schlep­pen“, so Prümm.

Nachhaltigkeit wird die Luftfahrt grundlegend verändern, sie muss es einfach tun.

Bart ReijnenBart Reijnen
CEO Satair

Digi­tal und nach­hal­tig – so soll in den Augen der Mana­ger die neue, alte Luft­fahrt aus­se­hen. Pas­sa­gie­re wer­den vom Check-in über Kof­fer­ab­ga­be, Sicher­heits- und Grenz­kon­trol­le bis hin zum Ein­stei­gen von Apps unter­stützt. Digi­ta­le Kon­zep­te beim Boar­ding sol­len weit­ge­hend Auf­ga­ben über­neh­men, für die bis­her Per­so­nal am Gate ein­ge­setzt wer­den muss. „Die­sen Trend gab es schon vor­her, aber er wird durch die Krise ganz sicher beschleu­nigt“, sagt Joa­chim Kirsch, Seni­or Part­ner und Luft­fahrt­ex­per­te von Por­sche Con­sul­ting.

Der ande­re Trend geht in Rich­tung Nach­hal­tig­keit. Obwohl bei Sata­ir die Auf­trä­ge im Mai, ver­gli­chen mit dem Vor­jahr, um zwei Drit­tel ein­ge­bro­chen sind und obwohl Geld­spa­ren eigent­lich Prio­ri­tät haben soll­te, hat Bart Rei­j­nen einen neuen Ver­trag über Öko­strom für die däni­sche Nie­der­las­sung abge­schlos­sen. Er hat dabei nicht die bil­ligs­te, son­dern eine sowohl kos­ten­spa­ren­de als auch nach­hal­ti­ge Opti­on gewählt. „Nach­hal­tig­keit wird die Luft­fahrt grund­le­gend ver­än­dern, sie muss es ein­fach tun“, sagt der Sata­ir-CEO. „Wir soll­ten nicht den Feh­ler bege­hen, die­sem Thema in der Krise weni­ger Bedeu­tung zuzu­mes­sen.“

Ich bin der festen Überzeugung, dass Technologiesprünge nun schneller kommen.

Sebastian ReschSebastian Resch
COO, Rolls-Royce

Auch Rolls-Royce-Mana­ger Resch glaubt, dass die Coro­na­kri­se den nöti­gen Umbau beschleu­ni­gen wird. „Ich bin der fes­ten Über­zeu­gung, dass Tech­no­lo­gie­sprün­ge nun schnel­ler kom­men, nicht zuletzt, weil sich die Struk­tur der Luft­fahrt­bran­che durch diese Krise signi­fi­kant ver­än­dern wird.“ Für Rolls-Royce heißt das: noch mehr Fokus auf effi­zi­en­te­re Trieb­wer­ke, noch mehr Fokus auf alter­na­ti­ve Treib­stof­fe, für die zusam­men mit Part­nern Stan­dards geschaf­fen wer­den sol­len. Und: ver­stärk­te For­schung und Ent­wick­lung von voll- und hybrid­elek­tri­schen Antriebs­kon­zep­ten, auch wenn das letz­te Wort für den Ein­satz solch dis­rup­ti­ver Tech­no­lo­gi­en bei den Flug­zeug­her­stel­lern und Air­lines liegt.

Auf einen Blick

Rolls-Royce

… produziert Großmotoren zur Energieversorgung, Antriebe für die größten Jachten, die stärksten Schlepper und die größten Landfahrzeuge sowie vor allem Triebwerke für Flugzeuge und Helikopter: Knapp die Hälfte der weltweit 50.000 Angestellten sind in der zivilen Luftfahrtbranche tätig, sie trugen 2019 rund neun Milliarden Euro zum Umsatz bei. Zu Beginn der Coronakrise waren über 30 unterschiedliche Flugzeugtypen mit zusammen mehr als 13.000 Rolls-Royce-Triebwerken im Einsatz.

Chance für Rückbesinnung auf Qualität

Wann also geht es wie­der auf­wärts? „Das ist aktu­ell die Mil­lio­nen­fra­ge“, sagt Bart Rei­j­nen. Die IATA schätzt, dass das Pas­sa­gier­auf­kom­men auf Inlands­flü­gen in zwei Jah­ren wie­der das Niveau von 2019 errei­chen könn­te. Bei inter­na­tio­na­len Flü­gen soll es hin­ge­gen bis 2024 dau­ern. Drei bis fünf Jahre bis zur voll­stän­di­gen Erho­lung, das ist auch die Pro­gno­se von Rolls-Royce und Sata­ir, aller­dings mit vie­len Fra­ge­zei­chen. Sicher ist für Rei­j­nen nur eines: „Das Umfeld wird nach Coro­na ein ande­res sein, nichts wird so blei­ben, wie es ist.“

Dass es eine Erho­lung geben wird, dass der Luft­fahrt­markt auch künf­tig wach­sen wird, wenn auch von einem nied­ri­ge­ren Start­punkt aus, daran zwei­felt aller­dings kaum jemand. „Jeder will, wenn die Mög­lich­keit besteht, doch wie­der in Ita­li­en über eine Piaz­za gehen oder an einem Strand in Spa­ni­en sit­zen“, sagt Fra­port-Mana­ger Pierre Domi­ni­que Prümm. „Die Rei­se­lust der Men­schen ist unge­bro­chen – und sie wird nach der Krise viel­leicht noch stär­ker sein als zuvor.“

Bei Rolls-Royce sieht man das ähn­lich: „Die Luft­fahrt leis­tet einen unglaub­lich wich­ti­gen Bei­trag für die Gesell­schaft, sie ist ein wert­vol­les sozia­les Gut und ein ent­schei­den­der Trei­ber für glo­ba­les Wachs­tum“, sagt Sebas­ti­an Resch. „All das wird zurück­kom­men, die Frage ist nur wann und wie.“ Por­sche-Bera­ter Kirsch sieht im Neu­start der Bran­che eine große Chan­ce: „Statt sich im Preis­kampf immer enger ein­zu­schnü­ren, ist jetzt die Gele­gen­heit, sich auf die Qua­li­tät zurück­zu­be­sin­nen, für die die Luft­fahrt einst stand. Die digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on bie­tet dafür enor­me Mög­lich­kei­ten ent­lang der gesam­ten Wert­schöp­fungs­ket­te und kann das Pas­sa­gie­r­erleb­nis völ­lig neu gestal­ten hel­fen.“

Auf einen Blick

Die Fraport AG

… betreibt nicht nur den Frankfurter Flughafen, sondern ist auch an 30 weiteren Flughäfen auf vier Kontinenten beteiligt. Der weltweite Umsatz betrug 2019 3,7 Milliarden Euro bei 182 Millionen abgefertigten Passagieren. Allein auf den Frankfurter Flughafen entfielen davon 70,5 Millionen Fluggäste und mehr als 500.0000 Flugbewegungen.
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