# Aussicht

Digitale Zeiten-
wende: Wann,
wenn nicht jetzt?

Die Coronakrise hat die digitale Transformation in vielen Sektoren beschleunigt, dabei Defizite aufgedeckt, aber auch Kräfte freigesetzt. Ein Blick auf fünf Branchen und ihre digitale Zukunft.

Nicht nur Schüler und Lehrer haben während des Corona-Lockdowns viel hinzugelernt – wie zum Beispiel bei dieser virtuellen Schulstunde. In vielen Bereichen des öffentlichen und des Wirtschaftslebens führte er zu einem Digitalisierungsschub.Plainpicture

Gesund­heits­äm­ter, die Coro­na-Fall­zah­len per Fax über­mit­teln, Schu­len, an denen die tech­ni­sche Aus­stat­tung zum mobi­len Ler­nen fehlt, und Ein­zel­händ­ler, die im digi­ta­len Raum bis­her nicht exis­tier­ten: In vie­len Sek­to­ren des öffent­li­chen und des Wirt­schafts­le­bens deck­te die Coro­na­kri­se digi­ta­le Defi­zi­te scho­nungs­los auf. Doch sie hat auch Kräf­te frei­ge­setzt und gezeigt, was mög­lich ist – etwa wie ein wei­test­ge­hend ana­lo­ger Ver­wal­tungs­ap­pa­rat über Nacht und aus dem Home­of­fice her­aus kri­sen­re­le­van­te Leis­tun­gen digi­ta­li­sier­te. Oder wie Lehr­kräf­te erfolg­reich vir­tu­el­len Unter­richt impro­vi­sier­ten. Und wie Ein­zel­händ­ler ihr Geschäfts­mo­dell krea­tiv online erwei­ter­ten. Auch im Kul­tur­sek­tor wur­den die Akteu­re erfin­de­risch: Vir­tu­el­le Rund­gän­ge durch die Aus­stel­lungs­räu­me von Muse­en, Orches­ter im Live­strea­ming oder Lite­ra­tur­fes­ti­vals per Zoom-Kon­fe­renz erwei­tern das kul­tu­rel­le Ange­bot ver­mut­lich auf Dauer.

Es darf kein Zurück in den Vorkrisenmodus geben.

Achim BergAchim Berg
Präsident des IT-Branchenverbands Bitkom

Digitaler Wendepunkt

Die schnel­len Lösun­gen, die wäh­rend der Pan­de­mie gefun­den wur­den, machen ein­drück­lich klar, dass hoch­kom­ple­xe Pro­zes­se wie die Digi­ta­li­sie­rung inner­halb kür­zes­ter Zeit an Tempo gewin­nen kön­nen. „Dass mobi­les Arbei­ten und mobi­les Ler­nen zum Stan­dard wer­den könn­ten, schien bis­lang undenk­bar. Jetzt aber wer­den wie unter einem Brenn­glas die immensen Poten­zia­le sicht­bar, die digi­ta­le Tech­no­lo­gi­en grund­sätz­lich bie­ten“, sagt Achim Berg, Prä­si­dent des deut­schen IT-Bran­chen­ver­bands Bit­kom, in dem mehr als 2.700 Unter­neh­men orga­ni­siert sind. Für Berg ist die Krise ein digi­ta­ler Wen­de­punkt und ein Weck­ruf, Digi­ta­li­sie­rung nun mas­siv vor­an­zu­trei­ben. Es dürfe dabei kein Zurück in den Vor­kri­sen­mo­dus geben. Die Wei­chen dafür wer­den nun gestellt. Die Ant­wor­ten von Orga­ni­sa­tio­nen und Unter­neh­men auf den Digi­ta­li­sie­rungs­be­darf fal­len je nach Bran­che höchst unter­schied­lich aus.


Messen: Virtuelle Begegnungen

Sie traf es zuerst: Als Groß­ver­an­stal­tun­gen mit Hun­der­ten bis Tau­sen­den Teil­neh­mern muss­ten Mes­sen rund um den Glo­bus nach Aus­bruch der Coro­na-Pan­de­mie abge­sagt und ver­scho­ben wer­den. Glück­lich schät­zen konn­ten sich die Ver­an­stal­ter, die auf ein vir­tu­el­les Kon­zept umschwen­ken konn­ten. So wie die euro­päi­sche Leit­mes­se für Com­pu­ter- und Video­spie­le Games­com. Ein­mal im Jahr ver­sam­meln sich Fans und Fach­pu­bli­kum in Köln und tau­schen sich über neu­es­te Ent­wick­lun­gen aus. Erste digi­ta­le For­ma­te der Messe gab es schon 2019. „So haben wir Mil­lio­nen Fans online erreicht“, sagt Tim End­res, Lei­ter der Messe, und ergänzt: „Die Digi­ta­li­sie­rung der Mes­se­bran­che hatte auch schon vor der Coro­na­kri­se eine enor­me Bedeu­tung.“ Ende August 2020 fin­det das Bran­chen­tref­fen gänz­lich im digi­ta­len Raum statt. „Die Games­com 2020 ist das erste rein digi­ta­le For­mat der Koeln­mes­se“, sagt End­res. Nun ent­wi­ckeln er und seine Mit­ar­bei­ten­den die digi­ta­len For­ma­te wei­ter und arbei­ten unter Hoch­druck an wei­te­ren Shows. „Dass wir bei die­sen The­men nicht bei null star­ten muss­ten, hat sich aus­ge­zahlt“, so End­res.

Die Digitalisierung der Messebranche hatte auch schon vor der Coronakrise eine enorme Bedeutung.

Tim Endres
Director Gamescom

Ins­ge­samt aber tref­fen die Fol­gen der Coro­na­kri­se die welt­wei­te Messe- und Ver­an­stal­tungs­bran­che hart. Der Ver­band inter­na­tio­na­ler Mes­sen UFI rech­net für das zwei­te Quar­tal 2020 mit Ver­lus­ten durch Ver­an­stal­tungs­aus­fäl­le von bis zu 134 Mil­li­ar­den Euro. Doch: „Mes­se­ma­cher sind erfin­de­risch und fle­xi­bel. Künf­tig wer­den For­ma­te teils kom­pak­ter sein oder sich auf mehr Flä­che ver­tei­len, um Hygie­ne­vor­schrif­ten zu ent­spre­chen – und das ergänzt um digi­ta­le Ele­men­te für Kun­den, die wegen Rei­se­be­schrän­kun­gen nicht vor Ort sein kön­nen“, sagt Kai Hat­ten­dorf, Geschäfts­füh­rer des Mes­se­ver­bands UFI mit Sitz in Frank­reich, der die Inter­es­sen von rund 800 Mit­glieds­or­ga­ni­sa­tio­nen in 88 Län­dern und Regio­nen welt­weit ver­tritt.

Auch für End­res steht fest: „Der Kern von Mes­sen ist seit jeher der per­sön­li­che Kon­takt auf dem Mes­se­ge­län­de. Selbst wenn wir die wei­te­re Digi­ta­li­sie­rung natür­lich vor­an­trei­ben, kann und soll das digi­ta­le Ange­bot den rea­len Mes­se­be­such nicht erset­zen. Sobald wie­der Mes­sen vor Ort mög­lich sind, wer­den wir – da, wo es sinn­voll ist – auf hybri­de For­ma­te set­zen, also auf die Kom­bi­na­ti­on aus Vor-Ort-Mes­sen und digi­ta­len Ange­bo­ten.“

Im Zentrum von Messen steht das Zusammenkommen von Menschen und Unternehmen mit gemeinsamen Interessen. Das gilt selbst für so digitale Themen wie Computerspiele – wie hier bei der Gamescom 2019 in Köln. Künftig setzt die Messe auf hybride Formate. Franziska Krug/Getty Images

Verwaltung: Plötzlich im Netz

Der Digi­ta­li­sie­rungs­schub kam buch­stäb­lich über Nacht: Im Eil­ver­fah­ren stell­ten deut­sche Ver­wal­tungs­be­hör­den zu Beginn der Coro­na­kri­se im März 2020 Anträ­ge auf Kurz­ar­bei­ter­geld sowie auf Sofort­hil­fen für Unter­neh­men und Selbst­stän­di­ge online. Wie wich­tig ein digi­tal funk­tio­nie­ren­der Staat ist, hat sich durch die Pan­de­mie deut­lich gezeigt. „Ein Werk­zeug, um den Her­aus­for­de­run­gen durch die Coro­na­kri­se wirk­sam zu begeg­nen, ist die digi­ta­le Ver­wal­tung“, sagt Ernst Bür­ger. Er lei­tet die Ende Mai 2020 neu gegrün­de­te Abtei­lung „Digi­ta­le Ver­wal­tung“ im Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um, die den Digi­ta­li­sie­rungs­pro­zess beschleu­ni­gen soll.

Laut E‑Government Deve­lop­ment-Index 2018 der Ver­ein­ten Natio­nen, in dem alle zwei Jahre der Digi­ta­li­sie­rungs­stand von allen 193 Mit­glied­staa­ten welt­weit erfasst wird, steht Deutsch­land nach Schwe­den, Finn­land und Frank­reich auf Platz zehn. Spit­zen­rei­ter ist Däne­mark, das schon 2001 über eine Digi­ta­li­sie­rungs­stra­te­gie ver­füg­te. Dort kön­nen Bür­ge­rin­nen und Bür­ger über eine per­sön­li­che Iden­ti­fi­ka­ti­ons­num­mer etwa Rente oder Kin­der­geld online bean­tra­gen, aber auch Arzt­ter­mi­ne ver­ein­ba­ren oder Geld über­wei­sen. Unter den ers­ten zehn Plät­zen fin­den sich auch Aus­tra­li­en, das an der Ein­füh­rung einer digi­ta­len Iden­ti­tät arbei­tet, und Sin­ga­pur, des­sen vir­tu­el­le Ver­wal­tung per „Smart Nation“-Regierungsprogramm vor­an­ge­trie­ben wird.

Corona zwingt uns, die Chance der Digitalisierung zu ergreifen. Ab sofort muss gelten: Digital zuerst!

Ernst Bürger
Leiter der Abteilung „Digitale Verwaltung“ im Bundesinnenministerium

Bis Ende 2022 sol­len auch in Deutsch­land knapp 600 Ver­wal­tungs­dienst­leis­tun­gen der Behör­den digi­tal zugäng­lich sein. So will es das Online­zu­gangs­ge­setz, das 2017 ver­ab­schie­det wurde. Recher­chen des Repor­ta­ge­pro­jekts Docu­py des öffent­lich-recht­li­chen Fern­seh­seh­sen­ders WDR zei­gen: Anfang März 2020 konn­ten gera­de ein­mal für drei Leis­tun­gen online Anträ­ge abge­schickt wer­den, 17 konn­ten online aus­ge­füllt und aus­ge­druckt wer­den, voll­stän­dig online nutz­bar war zum genann­ten Zeit­punkt keine ein­zi­ge der Leis­tun­gen. Das hat sich rasant geän­dert, denn mitt­ler­wei­le kön­nen auch kri­sen­re­le­van­te Leis­tun­gen wie Wohn­geld, der Not­fall-Kin­der­zu­schlag oder Ent­schä­di­gungs­zah­lun­gen für Arbeit­ge­ber online bean­tragt wer­den (Stand: Mai 2020). Als Nächs­tes soll die Antrag­stel­lung für das Arbeits­lo­sen­geld II und für das BAföG – das För­der­geld für Schü­le­rin­nen und Schü­ler sowie für Stu­die­ren­de – digi­ta­li­siert wer­den. Bür­ger sagt: „Kri­sen erfor­dern schnel­les und ent­schlos­se­nes Han­deln. Coro­na zwingt uns, die Chan­ce der Digi­ta­li­sie­rung zu ergrei­fen. Ab sofort muss gel­ten: Digi­tal zuerst!“


Bildung: „Endlich ein Schub“

Schon lange vor dem Aus­bruch der Coro­na-Pan­de­mie teil­ten pro­gres­si­ve Lehr­kräf­te unter den Hash­tags #twit­ter­leh­rer­zim­mer, #WeA­re­Tea­chers oder #EduG­la­dia­tors krea­ti­ve Ideen und digi­ta­le Lehr­kon­zep­te auf Twit­ter. Sie waren klar im Vor­teil, als der Shut­down ab Febru­ar und März 2020 welt­weit auch Schu­len betraf. „Die Krise hat gezeigt, dass es unglaub­lich gute Bei­spie­le für digi­ta­le Kon­zep­te gibt, die kurz­fris­tig ent­stan­den sind. Wir haben gese­hen, sobald Schu­len Frei­räu­me haben, wer­den diese auch krea­tiv genutzt“, sagt Andre­as Schlei­cher, Direk­tor des Bereichs Bil­dung bei der Orga­ni­sa­ti­on für wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit und Ent­wick­lung (OECD). Im inter­na­tio­na­len Ver­gleich zeig­ten sich jedoch Unter­schie­de. So waren etwa Est­land, Däne­mark und Finn­land gut für das digi­ta­le Klas­sen­zim­mer gerüs­tet, da sie schon seit Jah­ren auf Inter­net­tech­no­lo­gi­en im Unter­richt set­zen, in Deutsch­land dage­gen mach­ten sich tech­nisch unge­nü­gen­de Aus­stat­tung sowie lang­sa­mes WLAN eben­so bemerk­bar wie der Man­gel an digi­ta­len Unter­richts­kon­zep­ten und Kom­pe­ten­zen der Lehr­kräf­te für diese Art Stun­den. Ein mög­li­cher Grund dafür: Im inter­na­tio­na­len Ver­gleich sind die Stun­den­de­pu­ta­te deut­scher Lehr­kräf­te laut Schlei­cher recht hoch, in vie­len ande­ren Län­dern kön­nen Leh­re­rin­nen und Leh­rer mehr Zeit mit der Ent­wick­lung und Gestal­tung digi­ta­ler Unter­richts­an­ge­bo­te ver­brin­gen.

Wir haben gesehen, sobald Schulen Freiräume haben, werden diese auch kreativ genutzt.

Andreas Schleicher
Direktor des Bereichs Bildung bei der OECD

„Für viele Schu­len war das ein regel­rech­ter Crash­test. Viele muss­ten impro­vi­sie­ren und ad hoc nach Lösun­gen suchen. Es hat sich gerächt, dass wir das Thema digi­ta­le Schul­bil­dung in den letz­ten Jah­ren nicht ent­schlos­sen genug vor­an­ge­trie­ben haben“, sagt Chris­toph Mei­nel, Direk­tor des Hasso-Platt­ner-Insti­tuts (HPI), das die vom Bun­des­bil­dungs­mi­nis­te­ri­um geför­der­te Lern­platt­form „HPI Schul-Cloud“ zur Ver­fü­gung stellt. Aktu­ell werde immer kla­rer, dass es kein Zurück zum alten Sta­tus quo geben wird. „Die Coro­na-Pan­de­mie ver­leiht der Digi­ta­li­sie­rung in der Hoch­schul- und Schul­bil­dung end­lich einen Schub“, so Mei­nel. Was künf­tig neben tech­ni­scher Aus­stat­tung und der Bereit­stel­lung von Lern­platt­for­men aller­or­ten wich­tig ist: „Wei­ter- und Fort­bil­dun­gen müss­ten inte­gra­ler Bestand­teil der Arbeits­um­ge­bung von Leh­ren­den wer­den. Wir kön­nen nicht von Schü­le­rin­nen und Schü­lern erwar­ten, lebens­be­glei­tend zu ler­nen, wenn sie das nicht auch bei ihren Lehr­kräf­ten sehen“, sagt Schlei­cher.

Für viele Schulen war die Coronakrise ein regelrechter Crashtest.

Christoph MeinelChristoph Meinel
Direktor des Hasso-Plattner-Instituts

Gesundheit: Erfahrungen von Ärzten nutzen

Die­ser Com­pu­ter riecht die Gefahr. Aus­ge­stat­tet mit leben­den Ner­ven­zel­len, sol­len Sen­so­ren in den Gerä­ten des US-ame­ri­ka­ni­schen Start-ups Koni­ku neben Spreng­stoff­res­ten künf­tig auch Viren im Kör­per­ge­ruch erkrank­ter Men­schen erken­nen. Wie wich­tig solch visio­nä­re Ideen im Kampf gegen Epi­de­mi­en sein kön­nen, weiß Julia Bela­ya gut. Als Lei­te­rin Busi­ness Deve­lop­ment für den Bereich Gesund­heit des Plug and Play Tech Cen­ter in Kali­for­ni­en bringt sie Start-ups, Inves­to­ren und große Unter­neh­men zusam­men. Im „Covid-19 Accelerator“-Programm arbei­ten Start-ups wie Koni­ku an digi­ta­len Lösun­gen gegen die Pan­de­mie. „Die Coro­na­kri­se beschleu­nigt die Digi­ta­li­sie­rung im Gesund­heits­we­sen unge­mein. Fand die vir­tu­el­le Inter­ak­ti­on zwi­schen Arzt und Pati­ent vor der Krise noch eher sel­ten statt, scheint sie inzwi­schen fast schon all­täg­lich“, sagt Bela­ya. Eine Ent­wick­lung, die auch Tho­mas Kos­te­ra, Exper­te für die Digi­ta­li­sie­rung des Gesund­heits­we­sens bei der Ber­tels­mann Stif­tung, beob­ach­tet. „In Deutsch­land, aber auch etwa in Frank­reich sind das Ange­bot und die Nach­fra­ge nach der Nut­zung von Video-Sprech­stun­den spür­bar gestie­gen. In vie­len Fäl­len kön­nen Sprech­stun­den ange­bo­ten wer­den, ohne dass Pati­en­ten wäh­rend der Pan­de­mie in die Pra­xis kom­men müs­sen.“

Durch Covid-19 sind Akzeptanz und Nachfrage virtueller Interaktionen zwischen Ärzten und Patienten gestiegen.

Julia Belaya
Global Head, Business Development – Health, Plug and Play Tech Center

Für Bela­ya ist klar, dass Berei­che wie Tele­me­di­zin und Pati­en­ten­fern­über­wa­chung auch nach der Krise gefragt sein wer­den. „Durch Covid-19 sind Akzep­tanz und Nach­fra­ge vir­tu­el­ler Inter­ak­tio­nen zwi­schen Ärz­ten und Pati­en­ten gestie­gen. Dem wird sich das Gesund­heits­we­sen anpas­sen müs­sen.“ Was Kos­te­ra dabei für uner­läss­lich hält: „Die Erfah­run­gen von Ärz­ten, Pati­en­ten und Pfle­ge­fach­kräf­ten müs­sen gründ­lich eva­lu­iert wer­den. Auf die­ser Basis soll­te ent­schie­den wer­den, wie bis­her genutz­te digi­ta­le Inno­va­tio­nen künf­tig wei­ter ange­wen­det oder ver­bes­sert wer­den kön­nen.“


Handel: Online im grünen Bereich

Einzelhändlerin Zelda Czok konnte die Pflanzen aus ihrem Hamburger Geschäft während des Corona-Lockdowns mit Hilfe von Instagram, Videotelefonie und Messenger-Apps verkaufen. Johannes Arlt

Inmit­ten tief­grü­ner Mons­te­ra, Suk­ku­len­ten und fei­ner Luft­pflan­zen wächst und gedeiht „Win­kel van Sin­kel“, das Geschäft der Ein­zel­händ­le­rin Zelda Czok in Ham­burg. Nor­ma­ler­wei­se. Als die Unter­neh­me­rin die Nach­richt des bevor­ste­hen­den Shut­downs im März 2020 erhält, han­delt sie schnell. „Inner­halb von 24 Stun­den ent­wi­ckel­te und rea­li­sier­te ich die Idee einer vir­tu­el­len Pflan­zen­kauf­be­ra­tung“, sagt Czok. Dafür nutz­te sie bei­spiels­wei­se Video­te­le­fo­nie über Mes­sen­ger-Apps. Neben der Ein­däm­mung von Umsatz­ein­bu­ßen ging es für sie auch darum, den Ver­lust von Pflan­zen durch Ver­derb zu ver­hin­dern. Über den zusätz­lich auf­ge­setz­ten Insta­gram-Kanal „Plant­Sa­le“ konn­te Czok ihre Kund­schaft wei­ter­hin mit Pflan­zen ver­sor­gen. Ihr Vor­teil: Schon vor der Krise war sie auf Insta­gram und Face­book aktiv und hat eine treue Gefolg­schaft. „Eine gute Com­mu­ni­ty zu haben, ist das A und O“, sagt Frank Rehme, Geschäfts­füh­rer des Mit­tel­stand 4.0‑Kompetenzzentrums Han­del, das Ein­zel­händ­ler in Deutsch­land bei der Digi­ta­li­sie­rung unter­stützt.

Wer die Digitalisierung in seinem Geschäftsmodell bisher vernachlässigt hat, ist jetzt im Nachteil.

Frank Rehme
Geschäftsführer Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Handel

Das Bei­spiel von „Win­kel van Sin­kel“ zeigt: Auch für klei­ne Unter­neh­men gibt es Mög­lich­kei­ten, online prä­sent zu sein, etwa indem sie Soci­al-Media-Kanä­le für ihre Zwe­cke nut­zen. Ande­re Ein­zel­händ­ler oder auch Restau­rants setz­ten auf die Kraft der Gemein­schaft, um schnell und digi­tal den Ver­kauf oder Bestel­lun­gen etwa über loka­le Shop­ping­platt­for­men anzu­bie­ten. So rie­fen bei­spiels­wei­se der sta­tio­nä­re Buch­han­dels-Markt­füh­rer in Deutsch­land Tha­lia May­er­sche und der im Süd­wes­ten akti­ve Regio­nal­fi­lia­list Osi­an­der die Kon­takt­bör­se „Shop daheim“ ins Leben, um Kun­den und Ein­zel­händ­ler aller Bran­chen zu ver­net­zen. In vie­len asia­ti­schen Län­dern ist der Online­ein­kauf etwa von Lebens­mit­teln längst All­tag. Ein Umstand, der bei­spiels­wei­se in China den kon­se­quen­ten Lock­down in eini­gen Städ­ten pro­blem­los mög­lich mach­te. Des­sen E‑Com­mer­ce-Markt ist einer der größ­ten welt­weit und wuchs 2019 um rund 20 Pro­zent auf ein Umsatz­vo­lu­men von 1,2 Bil­lio­nen US-Dol­lar.

Wer Digi­ta­li­sie­rung bis­her in sei­nem Geschäfts­mo­dell ver­nach­läs­sigt hat, ist laut Rehme jetzt im Nach­teil. Sei­ner Ein­schät­zung nach ver­fü­gen rund 30 Pro­zent der deut­schen Händ­ler nicht ein­mal über ein Waren­wirt­schafts­sys­tem. „Wie bedeu­tend es ist, ein Gesicht im digi­ta­len Raum zu haben, dürf­te nun jeder ver­stan­den haben“, so Rehme. Was für ihn bei der Digi­ta­li­sie­rung wich­tig ist: „Immer eng an den Kun­den­be­dürf­nis­sen zu blei­ben und zu inspi­rie­ren.“ So wie Zelda Czok. Auch wenn zuneh­mend wie­der die meis­te Kund­schaft in den Laden kommt, blei­ben die digi­ta­len Kauf­mög­lich­kei­ten eine Opti­on zum Pflan­zen­kauf. Auch nach der Krise will Czok ihr digi­ta­les Kon­zept wei­ter­ent­wi­ckeln. Dann soll es einen Web­shop geben, der die Ver­käu­fe auto­ma­tisch abwi­ckelt. „So bleibt uns mehr Zeit für die per­sön­li­chen Wün­sche unse­rer Kun­den“, sagt Czok.

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