# Weitsicht

Worte mit Gewicht

Schnell und authentisch agieren, Transparenz schaffen, Vertrauen bilden – nie sind die Anforderungen an die Kommunikation mit Stakeholdern höher als in Krisen. Soziale Medien sind dabei Fluch und Segen zugleich.

Klare und unmissverständliche Kommunikation ist ein Muss für Polizisten im Einsatz. Auch für Unternehmen und Organisationen kommt es im Krisenfall oft auf jedes Wort an.ddp images/Sven Simon

Am 22. Juli 2016 stand die baye­ri­sche Lan­des­haupt­stadt Mün­chen unter Schock. Ein 18-Jäh­ri­ger hatte am frü­hen Abend, kurz vor 18 Uhr, im Stadt­teil Moo­sach das Feuer eröff­net und inner­halb von nur 15 Minu­ten neun Men­schen getö­tet. Gerüch­te und Berich­te über den Tat­her­gang ver­brei­te­ten sich wie ein Lauf­feu­er über sozia­le Medi­en. Der isla­mis­ti­sche Ter­ror­an­schlag von Paris, der nur acht Mona­te zuvor 130 Todes­op­fer und 683 Ver­letz­te gefor­dert hatte, war der Bevöl­ke­rung noch zu gut im Gedächt­nis.

Um 20.30 Uhr war der Schre­cken vor­bei, der rechts­ra­di­ka­le Täter hatte sich selbst gerich­tet. Doch die Unsi­cher­heit der Münch­ner blieb – zu viele Falsch­in­for­ma­tio­nen waren in den ver­gan­ge­nen Stun­den ver­brei­tet wor­den. Dass es der Poli­zei gelang, die Bevöl­ke­rung zu beru­hi­gen und die Infor­ma­ti­ons­ho­heit zu erlan­gen, ist dem Ein­satz von Mar­cus da Glo­ria Mar­tins, dem Lei­ter der Öffent­lich­keits­ar­beit und Kom­mu­ni­ka­ti­on bei der Poli­zei Mün­chen, und sei­nem Team zuzu­schrei­ben. Mit Ruhe und Klar­heit lie­fer­ten sie genau das, wonach die Bevöl­ke­rung ver­lang­te: Anwei­sun­gen, Fak­ten – und schließ­lich die Ent­war­nung.

„2016 hat uns gezeigt, wie man Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on in Soci­al Media macht“, resü­miert da Glo­ria Mar­tins. Dies sei kein ein­fa­ches Unter­fan­gen gewe­sen. Denn am 22. Juli habe es Dut­zen­de von Not­ru­fen gege­ben, in denen Men­schen von wei­te­ren Tat­schau­plät­zen berich­te­ten, zum Teil mit Schuss­wech­seln und Toten. Ins­ge­samt 73 sol­cher Phan­tom-Tat­or­te zähl­te die Poli­zei in ihrer Auf­ar­bei­tung.

Krisenkommunikation in sozialen Medien

Was zu die­sen fal­schen Mel­dun­gen führ­te, ist in den sozia­len Medi­en immer häu­fi­ger zu beob­ach­ten: Men­schen, die unter­ein­an­der nicht veri­fi­zier­te und mit Falsch­mel­dun­gen ange­rei­cher­te Infor­ma­tio­nen tei­len. Dass die Stra­ßen von Mün­chen damals vol­ler Blau­licht waren, ver­stärk­te sei­ner­zeit die Ner­vo­si­tät.

Kri­sen und Extrem­si­tua­tio­nen wie diese zei­gen es immer wie­der: Die Hoheit über die öffent­li­che Mei­nung zu haben, ist kein „Nice to have“, son­dern essen­zi­ell. Denn viel zu schnell kön­nen sich Falsch­mel­dun­gen ver­brei­ten, kön­nen Fake News die Atmo­sphä­re ver­gif­ten. Und Covid-19 macht erneut deut­lich: Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on ist nicht optio­nal. Vor­läu­fi­ge For­schungs­er­geb­nis­se oder schlecht recher­chier­te, aber schnell ver­öf­fent­lich­te Nach­rich­ten ohne Hin­ter­grund­fak­ten sor­gen in der Pan­de­mie – ver­mischt mit Ver­schwö­rungs­theo­ri­en, Fehl­in­for­ma­tio­nen und der Angst der Bevöl­ke­rung – für Aus­nah­me­si­tua­tio­nen, vor allem in sozia­len Medi­en wie Face­book oder Twit­ter. Die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO) erkann­te diese „mas­si­ve Info­de­mie“, wie sie es nann­te, bereits zu Beginn der Corona­virus-Krise. Kom­mu­ni­ka­ti­ons­teams in Genf sowie in den Regio­nal­bü­ros in Braz­za­vil­le, Kairo, Kopen­ha­gen, Mani­la, Neu-Delhi und Washing­ton arbei­ten seit Febru­ar 2020 daran, der Aus­brei­tung von Gerüch­ten Fak­ten ent­ge­gen­zu­set­zen.

Nichts zu sagen, schadet nur.

Paul Argenti
Professor für Unternehmenskommunikation an der Tuck School of Business, Hanover, New Hampshire

Auch für Unter­neh­men ist Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on als Bestand­teil des Kri­sen­ma­nage­ments von erheb­li­cher Bedeu­tung. Sie ist der Ansatz, im Sinne der Unter­neh­mung Ein­fluss auf Fak­to­ren wie die öffent­li­che Mei­nung zu neh­men. „Sein Geschäft ohne Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on zu betrei­ben, ist kurz­sich­tig“, sagt daher auch Paul Argen­ti, Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler und Pro­fes­sor für Unter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on an der Tuck School of Busi­ness, einer an das Dart­mouth Col­le­ge ange­schlos­se­nen Wirt­schafts­hoch­schu­le in Hano­ver, New Hamp­shire, USA.

Das Ziel von Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on ist es, Kri­sen in der Orga­ni­sa­ti­on ent­we­der zu umschif­fen – oder erfolg­reich durch­zu­ste­hen. Die Mit­tel und Maß­nah­men haben sich jedoch in den ver­gan­ge­nen Jah­ren stark gewan­delt. „Die sozia­len Medi­en ver­än­der­ten grund­le­gend, wie Kom­mu­ni­ka­ti­on geschieht. Die Pro­duk­ti­on von Inhal­ten ver­la­ger­te sich von der Kon­trol­le durch ein­zel­ne Akteu­re hin zu einer gemein­sa­men Anstren­gung vie­ler Teil­neh­mer“, sagt Argen­ti. Sich als Unter­neh­men oder Orga­ni­sa­ti­on dabei ganz her­aus­zu­hal­ten, sei keine Opti­on. Denn die Gesell­schaft erwar­te, dass Stel­lung genom­men werde: „Nichts zu sagen, scha­det nur.“

Krisenkommunikation in Unternehmen

Was das für Unter­neh­men bedeu­tet? Sie brau­chen ein star­kes Team für die Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on. Neben Mit­ar­bei­tern aus dem klas­si­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­reich soll­ten auch Per­so­nen aus der Füh­rungs­eta­ge ein­ge­bun­den sein, denn sie sind es, die glaub­wür­dig einen Stand­punkt nach außen ver­tre­ten kön­nen. Unbe­dingt not­wen­dig ist es auch, jeman­den ein­zu­bin­den, der im jewei­li­gen Sach­ver­halt Auto­ri­tät besitzt – im Fall der Coro­na­kri­se also bei­spiels­wei­se eine Füh­rungs­per­son aus dem inter­nen Gesund­heits­be­reich. Wich­tig ist die Ent­schei­dungs­kraft des Teams – und ein klar defi­nier­ter Hand­lungs­rah­men. „Wir sind sehr schlank in der Hier­ar­chie, weil wir einen gro­ßen Ver­trau­ens­bo­nus inner­halb der Poli­zei haben. Das macht uns unglaub­lich schnell und beweg­lich“, sagt da Glo­ria Mar­tins von der Poli­zei Mün­chen dazu.

Mit wel­cher Wort­wahl die Münch­ner Poli­zei damals und heute die Bevöl­ke­rung infor­miert, ist über drei Ebe­nen defi­niert. Stufe eins sieht die Ver­wen­dung sach­li­cher For­mu­lie­run­gen vor, mög­lichst ohne emo­tio­na­len Inhalt. Die zwei­te Stufe soll Men­schen in ihrem Gefühls­zu­stand abho­len: „Die Wir­kung, die wir damit erzie­len, ist eine sta­bi­li­sie­ren­de, mensch­li­che“, so da Glo­ria Mar­tins. Und schließ­lich der Dia­log: Die Behör­de inves­tiert stark in Com­mu­ni­ty Manage­ment auf sozia­len Medi­en.

Checkliste

Kommunikation in der Krise

Wenn die Wogen hochgehen, ein Shitstorm droht, das Image und damit die Zukunft des Unternehmens bedroht sind, braucht es ein Krisenkommunikationsteam, das schnell und mit ausreichend Fingerspitzengefühl agiert. Welche Faktoren in der Krisenkommunikation außerdem entscheidend sind:
  • Transparenz schaffen: Wenn Fehler gemacht wurden, sind diese auch so zu benennen. Sind konkrete weitere Schritte noch unklar, sollte nicht vorschnell mit Abwehr, sondern mit Aufrichtigkeit reagiert werden.
  • Handlungsrahmen vorgeben: Wer vorher definiert, wie die Kompetenzen innerhalb des Teams verteilt sind, kann in der Krise rascher reagieren. Je flacher die Hierarchien sind, desto einfacher gelingt das.
  • Authentizität zeigen: Auch Konzerne können Mitgefühl zum Ausdruck bringen – und sollten es auch tun. Wer menschliche Töne anschlägt, überzeugt – insbesondere in den sozialen Medien.
  • Stellung beziehen: Sich aus allem herauszuhalten, schadet. Haltung ist gefragt.
  • Mitarbeiter einbinden: Hier beginnt die Krisenkommunikation – wenn die Mitarbeiter hinter ihrem Unternehmen stehen, werden sie dieses als Botschafter auch glaubwürdig vertreten.

Transparenz und die richtigen Worte

Wie wich­tig die rich­ti­gen Worte sind, zeig­te sich in den USA, als Unter­neh­men ihre wöchent­li­chen Mar­ke­ting-E-Mails an die Coro­na­kri­se anpass­ten. Viele der Bot­schaf­ten ähnel­ten sich, aggres­si­ves Ver­kau­fen rück­te in den Hin­ter­grund. Worte, die der Trag­wei­te des Moments ent­spra­chen, fand etwa das Beklei­dungs-Start-up Cuya­na, das 2011 in Kali­for­ni­en gegrün­det wurde und sich Nach­hal­tig­keit auf die Fah­nen geschrie­ben hat. Die Grün­de­rin­nen Karla Gall­ar­do und Shil­pa Shah kün­dig­ten in einer Mit­tei­lung Ende März 2020 die Ent­las­sung zahl­rei­cher Mit­ar­bei­ter an, als „Ver­such zu über­le­ben“. Sie beschrie­ben die Situa­ti­on mit Ent­täu­schung und Trau­er, setz­ten diese aber in den Kon­text einer viel erns­te­ren Situa­ti­on – der Pan­de­mie: „Unse­re Pro­ble­me mögen unter­schied­lich sein, aber wir sind alle durch eine gemein­sa­me Erfah­rung ver­eint.“ Mit emo­tio­na­len und authen­ti­schen For­mu­lie­run­gen plä­dier­ten die Grün­de­rin­nen für Mit­ge­fühl und Ver­ständ­nis bei den Kun­den und konn­ten so einem poten­zi­el­len Shit­s­torm zuvor­kom­men.

Dass frei­lich auch Kon­zer­ne beim Über­brin­gen schlech­ter Nach­rich­ten Gefüh­le zei­gen kön­nen, bewies Arne Soren­son, CEO des US-ame­ri­ka­ni­schen Hotel­un­ter­neh­mens Mar­riott Inter­na­tio­nal, der größ­ten Hotel­ket­te welt­weit. In einer Video­bot­schaft sprach er über die Coro­na­kri­se und den schwie­rigs­ten Moment in sei­ner Kar­rie­re. Ruhig und lächelnd kom­men­tier­te er per­sön­li­che Belan­ge wie sei­nen „neuen haar­lo­sen Look“, der auf eine medi­zi­ni­sche Behand­lung zurück­geht; eben­so beson­nen über­brach­te er düs­te­re wirt­schaft­li­che Kenn­zah­len. Spä­ter stock­te seine Stim­me, als er die Hilf­lo­sig­keit der Hotel­bran­che ange­sichts der Pan­de­mie beschrieb, und ver­ab­schie­de­te sich schließ­lich mit Opti­mis­mus: „Ich war nie ent­schlos­se­ner, uns da durch­zu­brin­gen.“

Man muss schnell, transparent und ehrlich sein.

Marcus da Gloria Martins
Leiter der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation bei der Polizei München

Darin zeigt sich: Die offe­ne Anteil­nah­me von Orga­ni­sa­tio­nen und Unter­neh­men ist ein über­zeu­gen­der Bau­stein der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den Sta­ke­hol­dern. In einer Krise bedeu­tet das, mög­lichst früh und regel­mä­ßig zu kom­mu­ni­zie­ren, auch dann, wenn Aus­maß und Fol­gen noch nicht abzu­schät­zen sind. Das beginnt damit, die eige­nen Mit­ar­bei­ter auf dem Lau­fen­den zu hal­ten. Denn nur, wenn die inter­ne Kri­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on stimmt, kann diese auch in der Öffent­lich­keit gelin­gen – schließ­lich sind die Mit­ar­bei­ter immer auch Bot­schaf­ter des Unter­neh­mens.

Fehler überwinden

Und was, wenn Feh­ler pas­sie­ren? „Sie zuge­ben, erklä­ren, wie sie pas­sier­ten und wie sie wie­der gut­ge­macht und künf­tig ver­hin­dert wer­den“, sagt Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­fes­sor Argen­ti. Auf diese Weise könn­ten Orga­ni­sa­tio­nen prak­tisch alles über­win­den. Poli­zei­spre­cher da Glo­ria Mar­tins stimmt zu. Man müsse nicht die ganze Zeit über das Gefühl ver­mit­teln, die Welt zu ret­ten: „Man muss schnell, trans­pa­rent und ehr­lich sein.“

In den dra­ma­ti­schen Momen­ten die­ser und ande­rer Kri­sen mag es schwer vor­stell­bar sein. Doch stets fin­det sich hier die Mög­lich­keit, die Orga­ni­sa­ti­on oder das Unter­neh­men von mor­gen auf­zu­bau­en – mit nach­hal­ti­gem Image- und damit auch wirt­schaft­li­chem Gewinn. In Zei­ten von Covid-19 kann dies bedeu­ten, Fak­ten­che­cker zu unter­stüt­zen oder in ande­rer Form enge­ren Kon­takt mit der Bevöl­ke­rung und den Sta­ke­hol­dern zu schlie­ßen. In guten Zei­ten wer­den diese sich daran erin­nern.

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