Auf die Sicht
kommt es an
Was ist eine Krise? Definitionen gibt es viele. Im Kern ist die Krise eine extrem schwierige Lage. Und in der befand sich Ernest Shackleton am 27. Oktober 1915: Der Segelschoner des Polarforschers wurde vom Packeis der Antarktis zerquetscht. Der Expeditionschef und sein 27-köpfiges Team saßen auf einer brüchigen Eisscholle fest. Jenseits jeglicher Zivilisation. 1.500 Kilometer entfernt von der nächsten Walfangstation in Südgeorgien. Unter damaligen Bedingungen weit mehr als eine Krise. Eine aussichtslose Lage. Eigentlich. Doch: Shackleton hielt durch, acht Monate lang, und rettete alle Leben (Bericht in dieser Ausgabe). Hoffnung allein wäre ihm keine ausreichende Hilfe gewesen. Shackleton entwickelte einen Plan. Der nüchterne Blick auf die kritische Situation gab ihm Perspektiven. Dafür musste er verschiedene Sichtweisen miteinander kombinieren: Aussicht, Weitsicht, Umsicht und Zuversicht.
Vermutlich handelte der besonnene Polarforscher intuitiv. Jedenfalls machte er alles richtig. Er blieb optimistisch, suchte sofort nach Chancen, bewertete die Ressourcen, übernahm die Verantwortung, motivierte, gab Orientierung und wusste die Stärken und Schwächen in seinem Team richtig einzuordnen. So schaffte er tiefes Vertrauen und gab jedem das Gefühl: „Gemeinsam werden wir es schaffen.“ Das setzte enorme Willenskraft frei und stärkte den überlebenswichtigen Zusammenhalt.
Dieser historische Stoff taugt auch heute noch, rund ein Jahrhundert später, für ein gutes Führungskräftetraining. Warum? Weil tief greifende Krisen wie die Covid-19-Pandemie und deren direkte Folgen uns oft so ahnungslos und unvorbereitet treffen. Aber das muss nicht sein. Auf die richtige Sichtweise kommt es an. Wirksame Führung mit Perspektiven ist gefragt. Ist die Richtung vorgegeben, sollten darauf – wie bei Shackleton – Taten folgen. Das haben kluge Köpfe auch nach Ausbruch der Pandemie gezeigt. Einige Beispiele stellen wir deshalb in dieser Magazin-Ausgabe vor.
Granarolo, ein italienischer Milchproduktehersteller, trieb sein Digitalgeschäft in Höchstgeschwindigkeit voran. So konnte er vor allem in der Quarantänephase die Endkunden in Italien via Internet-Order direkt mit wichtigen Lebensmitteln versorgen. Der direkte Kontakt zwischen Produzent und Verbraucher kam auch emotional sehr gut an. Die unausgesprochene Botschaft „Wir sind immer für euch da“ zeigt Umsicht und Verantwortung.
Mehr Verantwortung übernehmen und sich durch Weitsicht auf kritische Situationen besser vorbereiten, das fordert Langstreckenpilotin Dr. Tanja Becker von der Wirtschaft. Sie rät Top-Führungskräften dazu, Entscheidungsprozesse in Krisensituationen ständig zu trainieren – nach dem Vorbild der Flugkapitäne, die Fehler unter Stress unbedingt vermeiden müssen.
In manchen Krisensituationen hilft möglicherweise nur noch radikales Umdenken. Dann kommt es auf eine genaue Analyse der Aussichten an. Besonders deutlich wird das bei Luftfahrtgesellschaften und Flughäfen. Eben noch an der Belastungsgrenze, kam die Branche über Nacht zum Stillstand. Und es wurde schnell klar: Auch wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen, wird es nicht weitergehen wie vorher. Deshalb muss die Passagierluftfahrt neu definiert werden. Für die Aussichten fragt man am besten die Fluggäste: Wie hat sich ihre Einstellung zum Fliegen verändert? Und was sind die Erwartungen der Passagiere als Kunden? Daraus können ganz neue Angebote entstehen, qualitätsorientiert und mit dem Menschen im Mittelpunkt. Am Boden und in der Luft.
Natürlich hat sich auch für uns als Beraterinnen und Berater viel verändert. Darauf haben wir reagiert, und daran möchten wir Sie mit diesem Magazin teilhaben lassen. Es ist die erste Ausgabe, die rein digital erscheint. So können wir Sie in der heutigen Situation überall auf der Welt schneller und aktueller erreichen.
Beim Lesen dieser Ausgabe 21 wünsche ich Ihnen interessante Einblicke und gute Anregungen.